Ist die Heilung von Autoimmunerkrankungen bald möglich?

Vor einigen Wochen leitete am Wochenende ein nichtrheumatologischer ärztlicher Kollege einen Artikel einer großen deutschen Wochenzeitung an mich weiter, der ungefähr mit der Überschrift aufmachte: „Sind Autoimmunerkrankungen bald heilbar?“

Er war deshalb so fasziniert, da er von unseren hausinternen Fortbildungen und Gesprächen wusste, dass wir Rheumatologen mit der Entwicklung der Therapieoptionen der letzten Jahre zwar sehr glücklich sind, da in den letzten 15 bis 20 Jahren die Quantität und Qualität der medikamentösen Therapiemöglichkeiten exponentiell gestiegen ist, es sich aber in nahezu allen Fällen um lebenslängliche Maßnahmen handelt. Das heißt, dass wir heutzutage in sehr vielen Fällen zwar eine vollständige Remission der Grunderkrankung bewirken können, aber eine Beendigung der Medikation in aller Regel zu einem Wiederaufflammen der Erkrankung führen wird. Auch Patienten sprechen mich nun immer wieder an, da eine Heilung, also eine nachhaltige medikamentenfreie Symptomfreiheit, natürlich einen Quantensprung darstellt.

Nun sind Autoimmunerkrankungen, also Erkrankungen bei denen sich das Immunsystem gegen den eigenen Körper richtet, ein sehr weites Feld, denn es handelt sich um hunderte Einzelerkrankungen, auch in anderen Fachbereichen wie der Neurologie mit z.B. der Multiplen Sklerose.

Prinzipien der CAR-T-Zell-Therapie

Der genannte und vergleichbare Artikel beschäftigen sich mit den sogenannten CAR-T-Zellen. Dabei werden körpereigene T-Lymphozyten so umprogrammiert, dass sie B-Lymphozyten eliminieren. Diese B-Zellen spielen bei vielen Autoimmunerkrankungen eine große Rolle, denn sie bilden die gegen eigene Körperstrukturen gerichteten Antikörper (=Autoantikörper), die im Gewebe sogenannte Immunkomplexe bilden und dort zur schädigenden Autoimmunreaktion führen. Dieser Therapieansatz adressiert also insbesondere Erkrankungen, bei denen B-Lymphozyten die dominierende Rolle der fehlgesteuerten Immunreaktion spielen.

Historisch gesehen wurde dieser Therapieansatz zunächst ab ca. 2012 in der Hämatologie/Onkologie erprobt, also der Fachgruppe, die sich mit (Blut-) Krebserkrankungen beschäftigt. Auch in diesem Fachbereich gilt dies naturgemäß für bestimmte B-Zell-Erkrankungen, also einige Blutkrebsformen, Lymphomarten und dem sogenannten Multiplen Myelom, bei dem entartete B-Zellen massenhaft einen einzelnen Klon von Antikörpern produzieren.
„CAR“ steht für chimärer Antigenrezeptor. Chimären sind in der Mythologie sogenannte Mischwesen und in der Medizin handelt es sich um Zellen oder Moleküle verschiedener genetischer Herkunft. CAR-T-Zellen enthalten auf ihrer Oberfläche einen genetisch veränderten Rezeptor, der aus mindestens 3 Anteilen besteht. Einen Anteil, der auf der Zelloberfläche sitzt, und das Antigen (also die zu eliminierenden B-Zellen) erkennt. Zudem einen Teil in der Zellmembran und einen Anteil in der veränderten T-Zelle, der dort für die Signalweitergabe sorgt. Bei jeder zu behandelnder Person werden zunächst mittels sogenannte Apherese T-Zellen aus dem Blut gewonnen, außerhalb des Körpers (ex vivo) genetisch verändert und somit mit dem chimären Rezeptor bestückt und dann ebenfalls außerhalb des Körpers im Labor vermehrt. Schlussendlich werden diese veränderten Zellen dann als Kurzinfusion dem Patienten appliziert. Es handelt sich also um ein „lebendes“ Medikament.

Für einige hämatologisch/onkologische Therapieansätze gilt, dass sie im Verlauf auch Anwendung in der Rheumatologie fanden, da bei diversen Erkrankungen dieselben Immunzellen, nämlich die Leukozyten/Lymphozyten, im Zentrum stehen.

CAR-T-Zell-Therapie in der Rheumatologie

Ab 2021 wurden erste Therapieversuche mit CAR-T-Zellen auch bei rheumatischen Autoimmunerkrankungen unternommen. Dabei findet diese Strategie insbesondere bei sogenannten Kollagenosen Anwendung, wie z.B. dem systemischen Lupus erythematodes. Diese Erkrankung zeichnet sich oftmals durch schwere Verläufe mit Beteiligung multipler Organe, wie Haut, Lunge, Herz, ZNS und Niere aus. Aufgrund der noch geringen Erfahrungen ist dieser Therapieansatz bisher schweren therapierefraktären Erkrankungsformen vorbehalten, erstmals erfolgte die Gabe bei einer 20-jährigen Patientin mit Multiorganbeteiligung bei systemischem Lupus erythematodes.

Eine bekannte Reservetherapie gegen systemischen Lupus erythematodes ist das Medikament Rituximab, das im Übrigen auch seinen Ersteinsatz in der Hämatologie/Onkologie fand. Es richtet sich gegen das Oberflächenmolekül CD 20 von B-Zellen, um diese zu eliminieren. Offensichtlich persistieren aber einige Zellen, z.B. im lymphatischen Gewebe, so dass der Effekt manchmal nicht ausreichend wirksam ist.

CAR-T-Zellen in der Rheumatologie sind so konditioniert, dass sie sich gegen ein anderes Oberflächenmolekül von B-Zellen richten, nämlich CD 19. Der Effekt ist so nachhaltig, dass nahezu alle B-Zellen eliminiert werden. Es verbleiben lediglich die sogenannten Plasmazellen im Knochenmark, die eine Art Gedächtnisfunktion übernehmen. Das heißt z.B., dass die Informationen für Antikörperproduktion nach erfolgten Impfungen weitestgehend erhalten bleiben.

Vorübergehender Therapieeffekt oder Heilung?

Die genannte Erstpatientin war ca. 3 Monate nach der Applikation völlig beschwerdefrei bzgl. sämtlicher Organmanifestationen. Der wichtige Diagnose- und Verlaufsparameter Doppelstrang-DNA ist seit Jahren nicht mehr nachweisbar. Kürzlich feierte diese Patientin 1000 Tage Symptomfreiheit ohne jegliche Medikation. Besonders ist, dass die B-Lymphozyten im Schnitt 150 Tage nach der Applikation von CAR-T-Zellen wieder nachweisbar sind, die falsche Immunantwort aber nicht mehr ausführen. Es ist somit von einer echten Heilung zu sprechen!

Noch sind die Erfahrungen allerdings begrenzt, bis Mitte 2023 wurden etwas mehr als 15 Patienten mit rheumatischen Erkrankungen in Deutschland mit diesen Therapien behandelt. In der Hämatologie und Onkologie sind teils schwere Nebenwirkungen in Form des sogenannten Zytokinfreisetzungssyndromes beschrieben, also einer schweren allgemeinen Entzündungsreaktion im Rahmen des durch die CAR-T-Zellen ausgelösten Zellzerfalles. Zudem können aus bisher unverstandenen Gründen schwere neurologische Symptome auftreten. In der Rheumatologie waren bezüglich der genannten Nebenwirkungen noch keine relevanten Probleme zu verzeichnen, aufgrund der geringen Anzahl der Patienten ist hier aber noch weitere Forschung notwendig und wird aktuell auch intensiv durchgeführt, z.B. am in Deutschland führenden Zentrum in Erlangen.

Auch ist der Aufwand pro Patient natürlich enorm, ähnliche Effekte können möglicherweise durch sogenannte bispezifische Antikörper bewirkt werden. Dies sind künstliche hergestellte Antikörper, die sowohl B-Zellen als T-Zellen gleichzeitig binden und somit die B-Zell-Depletion auslösen und dadurch der aufwändige Schritt der Konditionierung der T-Zellen außerhalb des Körpers entfälltg. Aber auch in diesem Bereich ist noch umfassende Forschung notwendig.

 

 

 

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