PD Dr. med. A. Schnabel erklärt den Einsatz von Kortison in der Behandlung von rheumatischen Erkrankungen

Von falschen Freunden stammt mein ganzes Unglück… – Ist da von Kortison die Rede?

Kortison in der Antientzündungstherapie
Die Einführung von Kortison in die Therapie der Entzündungskrankheiten in den 1940er Jahren markiert den Beginn der Neuzeit in der Rheumatologie. Kortisonpräparate erwiesen sich bei einer Vielzahl von entzündlichen Immunkrankheiten auch in anderen Bereichen der Medizin als hoch wirksam und gehören bis heute zum Standardrepertoire der Entzündungsbehandlung. Seither wurden zahlreiche weitere Antientzündungsmedikamente (Immunsuppressiva) in die Behandlung der Immunkrankheiten eingeführt, die Kortisonpräparate nehmen aber nach wie vor eine Sonderstellung ein auf Grund ihres schnellen Wirkungseintritts und ihrer breiten Wirksamkeit. Bis heute gibt es kein anderes Immunsuppressivum, das ähnlich schnell und umfassend eine hochakute rheumatische Entzündung unterbrechen kann wie zum Beispiel Prednisolon, das heute führende Kortisonpräparat.

Wie kam Kortison in den Ruf, ein falscher Freund zu sein? Dieser Ruf erklärt sich aus seiner Vorgeschichte. Die ersten Immunsuppressiva in der Rheumatologie waren nur mäßig wirksam und mussten in der Mehrzahl der Fälle mit Kortison kombiniert werden. Sie waren zudem mäßig oder schlecht verträglich, wenn sie abgesetzt wurden, musste die Behandlung mit höheren Dosen von Kortison fortgesetzt werden. So waren die Patienten über lange Zeit hohen kumulativen Dosen ausgesetzt und erlitten in hoher Zahl Kortisonnebenwirkungen.

Wirkung der Immunsuppressiva auf den Kortisonbedarf
Das änderte sich glücklicherweise Ende der 1980er Jahre, als mit der Einführung einer ständig zunehmenden Zahl moderner Immunsuppressiva der langfristige Kortisonbedarf kontinuierlich abnahm. In der Frühphase der antirheumatischen Therapie galt eine langfristige Prednisolondosis von 7,5 mg als noch als vertretbar, aus heutiger Sicht ist eine solche Therapie ungenügend. Darunter treten bei vielen Patienten unerwünschte Nebeneffekte auf: zusätzlich zu den rückbildungsfähigen Nebenwirkungen wie Gewichtzunahme, Muskelabbau, Blutzucker- und Blutdruckanstieg und die Abschwächung der Immunität gegen Infektionserreger, auch nicht oder nur eingeschränkt rückbildungsfähige Langzeitnebenwirkungen auf wie verminderte Knochenstabilität/Osteoporose, Trübung der Augenlinse/grauer Star, Schäden an Blutgefäßen/Arteriosklerose und der Haut.

Mit der Einführung der modernen Immunsuppressiva galt die Regel, dass eine begleitende Prednisolontherapie auf höchstens 5 mg zu begrenzen sei. Diese Maßgabe konnte mit der Einführung der Biologika und neuerdings Hemmern bestimmter Enzyme in Immunzellen seit Beginn der 2000er Jahre noch einmal nach unten korrigiert werden. In den aktuellen gemeinsamen Empfehlungen der Europäischen rheumatologischen Fachgesellschaften zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis heißt es „Die kurzfristige Gabe von Kortisonpräparaten ist zu erwägen, wenn Immunsuppressiva begonnen oder gewechselt werden, …, sie sollten aber reduziert und abgesetzt werden, sobald es klinisch möglich ist (Ziel: nach maximal 3 Monaten)“. Diese Empfehlung ist nicht als Fernziel zu verstehen, sie gibt die heutige Realität wieder: das Spektrum an Immunsuppressiva ist so breit geworden, dass, abhängig von der Diagnose, bei einem großen Teil der rheumatischen Entzündungskrankheiten auf eine langfristige Begleittherapie mit Kortison verzichtet werden kann.

Aktueller Gebrauch von Kortison
Wird also Kortison über kurz oder lang entbehrlich sein? In der vorhersehbaren Zukunft wohl nicht. Anders als in der Langzeittherapie wird es in akuten Situationen weiterhin gebraucht und seinen Platz behaupten. Die akute Anwendung erfolgt in Kortison-Stößen mit einer mittelhohen oder hohen Anfangsdosis und einem Dosisabbau über Tage bis wenige Wochen, abhängig von der Krankheitssituation. Dabei werden der schnelle Wirkungseintritt dieser Therapieform genutzt und die breite Wirkung auf viele Teilkomponenten der Entzündung. Die Nebeneffekte wie Blutzucker- und Blutdruckanstieg, innere Unruhe, Schlafstörungen und Veränderungen der Stimmung lassen im
Rahmen der Dosisreduktion rasch nach oder können mit einer Begleittherapie abgefangen werden. Die oft nicht rückbildungsfähigen Nebeneffekte der langfristigen Kortisontherapie lassen sich weitgehend vermeiden.

Kortison-Stoßtherapien werden insbesondere in zwei Situationen eingesetzt:

  • am Beginn einer Therapie zur Überbrückung der Zeit bis zum Einsetzen der Wirkung des Immunsuppressivums – diese beträgt abhängig vom eingesetzten Medikament mehrere Wochen. Mit Kortison wird eine rasche Beschwerdebesserung erreicht, zudem bahnt eine früh einsetzende effektive Therapie einen günstigen weitere Krankheitsverlauf,
  • zur Ersttherapie in organ- oder lebensbedrohenden Situationen, wie sie insbesondere bei entzündlichen Bindegewebskrankheiten/Kollagenosen oder entzündlichen Blutgefäßkrankheiten/Vaskulitiden vorkommen.

Diagnostik unter Kortisontherapie
Im hausärztlichen Bereich wird Kortison u.U. schon vor einer detaillierten rheumatologischen Diagnose eingesetzt, um die Wartezeit bis zur Vorstellung beim Rheumatologen zu überbrücken. Wenn wir davon erfahren, versuchen wir, einen möglichst schnellen Vorstellungstermin in einer unserer Sprechstunden bereitzustellen. Dafür gibt es den „Hamburger Rheumabogen“, in dem der überweisende Arzt Angaben zur Dringlichkeit der Situation weiterleitet. Insbesondere, wenn es noch keine gesicherte rheumatologische Diagnose gibt, muss vor der Erstvorstellung die Kortisondosis auf ein Minimum reduziert werden. Kortison in mittlerer/höherer Dosis verschleiert die Krankheitszeichen und auch viele apparative Befunde wie Laborwerte, Sonographie- und Kernspin (MRT)-Ergebnisse.

  • Um in akuten Situationen Zeitverluste zu vermeiden sollte deshalb die Prednisolondosis für mindestens 3-5 Tage vor der Vorstellung in der rheumatologischen Sprechstunde auf 5 mg oder weniger reduziert werden, diese Zeit kann falls notwendig mit einem Schmerzmittel überbrückt werden.
  • Auch Kortison-Stöße kurz vor dem Vorstellungstermin haben diesen Effekt, der zeitliche Abstand zwischen dem Kortison-Stoß und der Vorstellung sollte dann mindestens 2-3 Wochen betragen.

Kortison – ein falscher Freund?
Die Kortisontherapie in der Rheumatologie hat, wie zuvor berichtet, eine bemerkenswerte Entwicklung durchgemacht. Mussten in der Frühzeit der Antientzündungstherapie die erwünschten Wirkungen vielfach mit gravierenden unerwünschten Wirkungen erkauft werden, gelang es beim entzündlichen Gelenkrheumatismus, den Kortisonanteil und dessen unerwünschte Nebeneffekte kontinuierlich zu verringern. Es lässt sich vorhersehen, dass diese Entwicklung auch bei den deutlich selteneren entzündlichen Bindegewebs- und Gefäßkrankheiten eintreten wird, der Anfang ist bereits gemacht.

Anders als in der Langzeitbehandlung bleibt Kortison, als Stoßtherapie angewandt, ein wichtiger Baustein der Akuttherapie. Die Nebeneffekte einer kurzen hoch dosierten Anwendung sind üblicherweise zu beherrschen, der Nutzen überwiegt hier bei weitem.

Es ist an der Zeit, Kortison von seinem zweifelhaften Ruf zu befreien. Nach heutigen Regeln angewandt bleibt es auf absehbare Zeit ein wichtiger Helfer in der Entzündungsmedizin. Seine Hilfe sollte aber, wie dargestellt, mit Bedacht genutzt werden – sein etwas nachtragendes Wesen kennen wir aus der Vergangenheit.

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